Interreligiöser Dialog: Das Gespräch zwischen den Religionen

Ein Beitrag aus islamischer Sicht

von Andreas Ismail Mohr

Muslime und Andersgläubige im Alltag ‒ Formen der Begegnung

Die Grenzen zwischen "Abendland" und "Morgenland" sind offen. Ob sie jemals unverrückbar oder geschlossen waren, müsste ein Historiker entscheiden. Für das erste Jahrzehnt des dritten christlichen Jahrtausends kann man allerdings feststellen: Seit Jahrzehnten leben viele Muslime mitten in Europa, nicht nur in Russland und auf dem Balkan, wo ganze muslimische Völker seit Jahrhunderten leben, sondern auch im Inneren des "christlichen Abendlandes" wie man früher gesagt hätte, und somit begegnen sich Christen und Muslime eigentlich ständig. Genauer gesagt: nicht nur Christen und Muslime, sondern, aus muslimischer Sicht: Muslime und Andersgläubige sowie Menschen, die gar nicht glauben. Sicherlich finden diese Begegnungen im Allgemeinen nicht auf religiöser Ebene statt und es mag auch sein, dass viele Menschen in beiden oder allen Gruppen mit der jeweiligen Religion nur noch wenig zu tun haben. Vielleicht gibt es auch eher Begegnungen zwischen Asiaten und Europäern oder zwischen Türken und Deutschen als zwischen Christen und Muslimen, d.h. als interreligiöse Begegnung im engeren Sinne.

Schule, Kinder, Familie, Ehe

Aber auch wenn das so sein sollte, spielt das religiöse Element in derartigen Begegnungen immer mit. Zwei Fälle seien hier genannt. Zum einen die Schule. In vielen deutschen Schulen gibt es muslimische Kinder; in einigen stellen sie sogar die Mehrheit. Diese Schüler haben in der Mehrheit keinen ordentlichen Religionsunterricht, allenfalls ein Ersatzfach wie "Islamkunde" (so an einigen Schulen in in Nordrhein-Westfalen) oder eine gewisse Belehrung über den Islam innerhalb eines der verschiedenen muttersprachlichen Unterrichtsangebote, die Schüler zusätzlich zum normalen Schulunterricht besuchen können. Muslimische Kinder werden vielleicht nicht unbedingt alle Weihnachtslieder mitsingen wollen ("Stille Nacht/... Gottes Sohn/ O wie lacht..."), dafür werden einige im Ramadan fasten ‒ es gibt also reichlich Gelegenheiten, wo unterschiedliche Religionen in der Schule zu Gesprächsthemen werden können. Und dann sind da noch die vieldiskutierten Problemfelder: Kopftuch und Schwimmunterricht zum Beispiel. Schließlich gibt es auch verschiedene Spielarten des Christentums wie des Islam.[1] Aleviten fasten nicht im Ramadan (türkisch: Ramazan) ‒ es gibt dafür andere Fasttage; das Opferfest (arabisch: ‘îd al-ad'hâ, türkisch: Kurban Bayramı) begehen jedoch die Aleviten ebenso wie Sunniten und Schiiten. Mariä Himmelfahrt (am 15. August) ist höchstens in katholischen Gebieten ein Feiertag aber Protestanten wie Katholiken feiern Weihnachten und Ostern.

Ein weites Beispiel ist die Familie: Heiraten zwischen christlichen und muslimischen Partnern sind keine Seltenheit. Oft ist es so, dass ein muslimischer Mann eine christliche Frau heiratet. Dies ist nach islamischem Recht auch erlaubt, während der umgekehrte Fall nach islamischem Recht nicht möglich ist, obwohl nach deutschem und türkischem Recht sehr wohl eine Muslimin einen Mann jeglicher Religionszugehörigkeit heiraten kann. In den meisten dieser Ehen spielt die Religionsverschiedenheit zunächst meist keine bedeutende Rolle. Es kann aber sein, dass der eine oder beide Partner sich später stärker mit seiner/ihrer jeweiligen Religion identifizieren. Besonders wenn Kinder heranwachsen, stellt sich die Frage, welchem Bekenntnis sie angehören sollen, oder anderes gesagt: Sind unsere Kinder nun eigentlich Muslime oder Christen? In diesem Falle wird das interreligiöse Gespräch im kleinsten Rahmen in der Familie sogar zum allerwichtigsten Thema.

Die Verwandschaft im Glauben: "Unser Gott und euer Gott ist einer!"

Wenn wir von interreligiösem Dialog sprechen, so meinen wir die Begegnung, das Gespräch und die konstruktive Auseinandersetzung mit und zwischen Angehörigen verschiedener Religionen, in unserem Falle meistens von Christen und Muslimen, aber auch innerhalb der Christenheit (Protestanten, Katholiken, Orthodoxe) und innerhalb der Gemeinschaft der Muslime (Sunniten, Aleviten, Schiiten und andere). Natürlich gehört auch das Judentum, das selbst in sehr unterschiedliche Strömungen geteilt ist (Karäer neben rabbinischem Judentum; "Orthodoxe" oder "Toratreue" neben "Konservativen" und "Reformierten") hierzu. Wir können deshalb hier auch vom "abrahamischen" Dialog, oder sogar vom "Trialog" sprechen, auch wenn letzteres eine etwas zweifelhafte Wortbildung ist. Das Gespräch mit Angehörigen weiterer Religionen — etwa mit Buddhisten, Hindus, Sikhs oder mit den Vertretern chinesischer Religionen (und es ließen sich viele weitere aufführen: Zarathustrier/Parsis, Shintoisten, Vertreter eingeborener Religionen usw.) — ist hier vorerst ausgeklammert. Das heißt nicht, dass dieses nicht sinnvoll wäre, jedoch steht der Dialog der sich auf Abraham berufenden Religionen hier im Mittelpunkt. Diese haben eine wichtige Sache gemeinsam, nämlich den Einen Gott. Dies ist bei den anderen genannten Religionen nicht unbedingt der Fall; jedenfalls nicht im Falle des Buddhismus, der ja strenggenommen atheistisch ist, denn er kennt weder einen Schöpfergott noch Gott als eine "Person", zu der eine Beziehung möglich ist. Allerdings sollte man ganz ernsthaft die Bahá’ís ebenfalls in den abrahamischen Dialog einbeziehen, da diese nach ihrem Selbstverständnis die Linie von Judentum-Christentum-Islam fortsetzen. Eine Schwierigkeit besteht sicherlich darin, dass viele Muslime die Bahá’ís als eine vom Islam abgespaltene ("abtrünnige") Sekte betrachten, was allerdings dem Selbstverständnis der Bahá’ís in keinster Weise entspricht.

Verzerrungen im mittelalterlichen Islambild

Das christliche Abendland hatte im Mittelalter völlig verzerrte Vorstellungen vom Islam. Man glaubte, Muslime würden goldene Mahomsbilder (Abbildungen Muhammads) anbeten [2] (obwohl es gerade umgekehrt war: Die Christen verehrten Bilder und Statuen, nicht die Muslime!), Martin Luther sprach vom Teufel als dem Gott der Türken, und schließlich führt diese Linie über den Romanschriftsteller Karl May (einer seiner Romane trägt den Titel "Allah il Allah", was angeblich "Gott ist Gott" bedeuten soll[3]) bis in unsere Zeit: Immer noch gibt es Christen, die behaupten, der Gott der Muslime, Allâh, sei nicht der Gott des Christentums. Diese fragen sich allerdings nie, ob der Gott der Alten Testaments, Elôhîm oder JHWH (Jahwä) genannt, derselbe ist wie der "liebe Gott" der Christenheit. Es gab allerdings auch andere Auffassungen, ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist der Briefwechsel zwischen Papst Gregor VII. und dem nordafrikanischen Sultan an-Nâsir im 11. Jahrhundert, in dem der Papst schrieb: "wir anerkennen und bekennen ‒ in verschiedener Weise, das ist wahr ‒ einen einzigen Gott (...)".[4]

Allâh heißt 'Gott'

Der Islam hatte damit nie ein Problem. Eine solche Frage konnte gar nicht auftauchen. Selbstverständlich ist der Gott der Bibel und der Juden wie Christen kein anderer als der des Korans und der Muslime. Das arabische Wort Allâh bedeutet schließlich 'Gott' (und zwar 'Gott' ohne Artikel gebraucht, also als Eigenname verwendet!) und dieses wurde und wird von christlichen Arabern aller Richtungen wie auch von arabischen Juden natürlich genau so gebraucht[5]. Wie anders sollten sie denn "Gott" in ihrer Sprache sagen, wenn nicht "Allâh"?

Dass Juden und Christen und Muslime möglicherweise unterschiedliche Vorstellungen von Gott haben, ändert an der soeben festgestellten Tatsache nichts. Für Muslime war das von Anfang an klar, denn sie werden im Koran direkt aufgefordert, mit den Angehörigen der "Buchreligionen" ahl al-kitâb, den 'Leuten der Schrift' (damit sind vorwiegend Juden und Christen gemeint), auf beste Art und Weise zu diskutieren:

Nur auf die schönste Weise streiten

"Und streitet nicht mit den Leuten der Schrift, außer mit dem, was am schönsten ist ausgenommen diejenigen von ihnen, die ungerecht sind; und sagt: Wir glauben an das, was auf uns herabgesandt wurde und auf euch herabgesandt wurde, und unser Gott und euer Gott ist einer. Ihm sind wir ergeben (muslimûn)." (Koran, Sure 29, Vers 46).

Der Ausdruck "was auf uns (euch) herabgesandt wurde" bedeutet: was wir (ihr) als Offenbarung empfangen haben (habt). Man beachte auch, dass die Eigenschaft, der Gläubigen, die hier angesprochen sind, die der Gottergebenheit ist, ganz wörtlich heißt es: "und wir sind ihm (sich) Ergebende" 'sich Ergebende' ist im Arabischen muslimûn, also "Muslime" in der ursprünglichen theologischen Bedeutung des Wortes.

Der zitierte Vers bestätigt nicht nur, dass wir an ein und denselben Gott glauben, er fordert sogar zum "schönen Streitgespräch" auf. Das heißt, es muss nicht Friede, Freude, Eierkuchen sein, sondern Diskussion, ja Streit, aber eben "mit dem was am schönsten ist", also: auf die beste Art und Weise. An dieser Koranstelle ist für Muslime die Aufforderung zum Dialog mit Angehörigen anderer Offenbarungsreligionen festgeschrieben. Dieser Text befindet sich in einer mekkanischen Sure, d.h. in einem Korankapitel (al-‘Ankabût 'die Spinne'), das in der ersten Zeit der Wirkens des Propheten Muhammad[6] in Mekka (ca. 610-622 n.Chr.) geoffenbart wurde. Aber auch in der späteren Phase in Medina (622-632 n.Chr.), als Muhammads Gemeinde durchaus in konfliktreichem Verhältnis zu den Juden und Christen Arabiens stand, wird der Prophet in der 5. Sure (al-Mâ’ida 'die Speisetafel') — diese gilt als eine der zuletzt geoffenbarten[7] — folgendermaßen angesprochen (der Sprecher "wir" ist Gott):

Die Offenbarungsschriften sind Teile einer einzigen "Schrift"

"Wir haben die Schrift zu dir hinabgesandt mit der Wahrheit, das bestätigend was vor ihr von der Schrift (bereits) vorhanden war und als Wächter (oder: Zeuge) darüber. So entscheide zwischen ihnen nach dem, was Gott herabgesandt hat und folge nicht ihren Gelüsten gegen das, was dir von der Wahrheit zuteil wurde. Einem jeden von euch haben wir eine Satzung und einen Weg gegeben; und wenn Gott gewollt hätte, so hätte er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Aber (er wollte es so), damit er euch prüfe in dem, was er euch gegeben hat. So wetteifert miteinander in den guten Dingen. Zu Gott ist euer aller Heimkehr, und dann wird er euch über das aufklären, worüber ihr uneinig wart." (Koran, Sure 5, Vers 48).

Auch hier wird der gemeinsame Ursprung der heiligen Schriften, die alle Teile oder Aspekte der einen "Schrift" sind, bestätigt. Gott hat es schon so gewollt, dass die Menschen auf verschiedene Weise glauben, daher sollen sie sich wetteifernd um das Gute bemühen, sich gegenseitig in guten Taten zuvorkommen. Was die Streitfragen angeht, so ist es Gott selbst, der letztlich am Jüngsten Tage Klarheit schaffen wird. Man beachte zum hier geforderten Wettstreit der Religionen den Titel, den der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel für sein Buch über das Gespräch der Religionen bei Lessing wählte: "Vom Streit zum Wettstreit der Religionen".[8]

Dennoch findet sich im Koran — sogar in derselben Sure, aus der eben zitiert wurde — scharfe Kritik an bestimmten Aussagen der anderen Religionen, etwa an der christlichen Auffassung, dass Jesus Gott sei (5:17), dass Gott einer von drei (Personen einer Trinität) sei (5:73) und dass Jesus und Maria sozusagen göttliche Verehrung genießen (5:116) — wobei an letzter Stelle der Koran nicht die christliche Dreieinigkeitslehre als "Dreigötterglaube" (Gott, Jesus und Maria als Götter) "missversteht", wie immer wieder behauptet wird, sondern vielmehr die Anbetung Jesu als Gott sowie die quasi-Anbetung (Überverehrung, Hyperdulie!) Mariens kritisiert.[9]

Glaube und Leugnung ‒ Juden, Christen, Sâbier

Dies birgt eine Menge Gesprächsstoff. Für Muslime sind also bestimmte Glaubensaussagen von Christen nicht nur unannehmbar und falsch, sondern sie sind Unglaube und ein Leugnen (kufr) der Wahrheit, weshalb schließlich auch Juden und Christen in der Sicht der islamischen Dogmatik zu den Leugnern (kâfirûn, kuffâr) gerechnet werden. (So auch im Gesetz, wo kâfir "Nichtmuslim" bedeutet.) Was das Theologische angeht, so enthält der Koran keine genaue Festlegung der Begriffe kâfir 'Leugner', muschrik 'Beigeseller, Götzendiener' in ihrer Beziehung zu anderten Religionen. Von der Warte der traditionellen Dogmatik aus gesehen gibt es nur Muslime und Leugner/Ungläubige. Dennoch behauptet der Koran keineswegs, dass Juden und Christen per se Ungläubige seien, denn:

"Diejenigen, welche glauben, und die, welche sich zum Judentum bekennen und die Christen und die Sâbier[10] wer immer an Gott und an den Jüngsten Tag glaubt und Rechtschaffenes wirkt, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn, und weder Furcht noch Trauer soll über sie kommen. (Koran Sure 2, Vers 62; vgl. 5:69; 22:17)

An dieser Stelle wird es für Muslime interessant zu fragen, was die anderen eigentlich wirklich glauben. Gleichzeitig sind sie gerne bereit, ihre eigene Vorstellung anderen mitzuteilen.

Von Adam über Muhammad bis heute ‒ ein Blick in die Geschichte

Für den Glauben der Muslime beginnt die Offenbarung nicht mit Muhammad, vielmehr endet sie mit ihm. Auch nicht Abraham ist der Urvater der Muslime, sondern es ist der Vater der Menschheit: Adam. Zu ihm sprach Gott, er lehrte ihn die Namen aller Dinge und nach dem Sündenfall empfing der erste Mensch Gottes Worte (Sure 2:30-39). Daher wird Adam gelegentlich als erster Prophet betrachtet.[11] Andere wie Ibn Ishâq meinen, Idrîs, ein im Koran genannter "Prophet" (19:56; auch 21:85) sei der erste gewesen.[12] Der erste gesetzgebende Prophet war Noah (arabisch: Nûh)[13]; man hat hier an die im Judentum bekannte Vorstellung von den noahidischen Geboten zu denken, einer Art Gesetz, bestehend aus sieben Geboten, die für alle Menschen verpflichtend seien. Erst in der Nachkommenschaft Noahs wurde Abraham (arabisch: Ibrâhîm) erwählt, der als Gottergebener (muslim) gilt, zugleich als Prophet und Gesandter. Außerdem ist er nach dem Koran (2:125-127; 14:35-37) der Erbauer der Kaaba in Mekka. Einige Überlieferungen sagen, dass auch diese schon aus Adams Zeiten stamme, Abraham habe sie aber wiederaufgebaut. Im Koran heißt es nämlich, dass Abraham und Ismael "die Grundmauern des Hauses aufrichteten" ‒ und hieraus schließt man, dass damit die Fundamente der Urkaaba gemeint seinen. Die islamische Geschichte erreicht also mit Abraham einen Höhepunkt ‒ aber Prophetentum, Offenbarung und sogar die Aufzeichnung derselben in "Blättern" (suhuf) hat es schon vor ihm gegeben. Auch Abraham hatte seine Schriftrollen oder Offenbarungsblätter (Koran 87:19). Später kam Mose (Mûsâ), dem die Tora (at-Taurâh, at-Taurât) gegeben wurde: "in ihr ist Rechtleitung und Licht" (5:44). Es heißt sogar in einem Muhammad zugeschriebenen Wort, dass Gott die Tora mit seiner eigenen Hand geschrieben habe.[14] Viele bekannte Personen der biblischen Geschichte setzen die Offenbarung fort, darunter Isaak (Is'hâq), Josef (Yûsuf), David (Dâwûd), Salomo (Sulaimân), schließlich Johannes der Täufer (Yahyâ), bis die Reihe der israelitischen Propheten mit Jesus (Îsâ) endet, der das Evangelium (al-Indjîl) als ihm von Gott geoffenbarte Botschaft verkündet. (Die heutigen kanonischen und die vielen apokryphen Evangelien sind nicht identisch mit dem ursprünglichen Evangelium, welches Jesus verkündete, und das von Gott geoffenbart ist ‒ nur im letzteren Sinne ist al-Indjîl zu verstehen!). Allerdings gab es nach dem Koran bei jedem Volk Gesandte und Propheten (siehe 10:48; 16:36; 14:4; 13:24), einige wie Hûd, Sâlih und Schuaib, die im Koran erwähnt werden, sind dem arabischen Altertum zuzurechnen. Der ebenfalls im Koran genannte Ijob (Hiob, arabisch: Ayyûb) ist zwar ein biblischer Prophet (weil Gott zu ihm spricht), aber kein Israelit.

Muhammad

Auf Jesus folgt Muhammad (das "Siegel der Propheten") mit der letzten Offenbarung, dem Koran (Qur’ân = 'Rezitation'). Die Lebensgeschichte Muhammads als Verkündiger der koranischen Offenbarung ist zugleich die Geschichte einer ständigen Auseinandersetzungen mit den Anschauungen und Bräuchen seiner Umgebung, in erster Linie mit den heidnischen Arabern, den muschrikûn ('Beigesellern', d.h. Götzendienern), aber auch mit Juden und Christen. Einige Aspekte dieser Auseinandersetzung wurden in den vorigen Abschnitten an Koranversen erläutert. Einige interessante Episoden werden auch in der Prophetenbiografie (sîra) des bereits erwähnten Ibn Is'hâq genannt, so etwa die berühmte Erzählung der ersten muslimischen Auswanderer beim christlichen König von Äthiopien, dem Negus (an-Nadjâschî)[15] und der Bericht über die christliche Gesandtschaft von Nadjrân in Süd-Arabien, die mit einem Bischof zu Muhammad nach Medina kam.[16]

Nach dem Tode Muhammads ‒ also während der islamischen Geschichte ‒ ging die Begegnung (an deren erster Stelle oft die Eroberung der entsprechenden Gebiete erfolgte) mit Juden und Christen weiter: Ägypten, Syrien, Palästina (zuvor byzantinisch), Irak und Iran (beide unter persischer Herrschaft) wurden unter dem zweiten Nachfolger Muhammads, dem Kalifen Omar (Umar ibn al-Chattâb, regierte 634-644 n.Chr.) erobert und unterstanden nun der arabisch-islamischen Herrschaft. Die eroberte Bevölkerung blieb im allgemeinen noch lange Zeit bei ihrer angestammten Religion: Es waren meist Christen, einige Gebiete, so etwa in Babylonien (Irak) waren überwiegend jüdisch besiedelt,[17] die offizielle Religion Irans war der Zoroastrismus (die auf Zarathustra zurückgehende Lehre).{18]

Die klassisch-islamische Kultur

Die islamische Herrschaft führte bald zu einem Sprachwechsel in vielen eroberten Gebieten, so dass bald Muslime wie Juden und Christen arabisch sprachen; nicht so im Iran und östlich davon, wo sich die bestehenden Sprachen erhielten und nur langsam mit arabischen Lehnwörtern überfrachtet wurden. Das heißt mit anderen Worten: Die Mehrheit der Bewohner des nun entstandenen islamischen Reiches, gleich ob Muslime, deren Prozentsatz wuchs, oder Juden und Christen, deren Gemeinschaften zahlenmäßig abnahmen, waren Araber und hatten an der klassisch-islamischen Kultur Anteil.[19]

Religiös und rechtlich waren die Nichtmuslime den Muslimen nicht gleichgestellt, allerdings wurden die extremen Forderungen mancher Rechtsgelehrter, die z.B. auffällige Kleidung oder Erkennungszeichen für Nichtmuslime forderten oder ihnen den Neubau von Synagogen und Kirchen verbieten wollten, meistens nicht durchgesetzt. Selbstverständlich wurden und werden in islamischen Ländern auch nichtislamische Gotteshäuser gebaut (selbst in Ländern der arabischen Halbinsel!), mit wenigen Ausnahmen: Die Türkei und Saudi-Arabien wollen beide aus unterschiedlichen Gründen den Bau von Kirchen bzw. das Abhalten von christlichen Gottesdiensten nicht dulden. Interessanterweise ist dies im Falle der Türkei erst der Fall, seitdem die Türkei kein islamischer Staat mehr ist (1924 wurde das Kalifat und somit der islamische Charakter des Staates endgültig abgeschafft; an die Stelle des Osmanischen Reiches trat eine nationalistische Republik). Unter den Sultan-Kalifen war der Kirchbau allerdings möglich, wie man schön an der katholischen Kirche in Konya (und praktisch allen anderen Kirchen der Türkei) sehen kann.

Die Geschichte war für die Muslime nicht weniger wechselhaft als für die Andersgläubigen unter ihrer Herrschaft — es gab Zeiten größter Toleranz wie auch Phasen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Auch unter muslimischen Richtungen (Rechtsschulen, theologischen Richtungen) und Sekten war das Klima oft feindselig und alles andere als gegenseitige Anerkennung war der Fall. Bekanntlich haben sunnitische Gelehrte die Schiiten oft verdammt (und umgekehrt war es nicht anders), zahlreiche kleine Gemeinschaften, die heute oft noch vorhanden sind (etwa Drusen, einige ismâ‘îlitische Sekten, die Nusairî-‘Alawîs, die anatolischen Aleviten[20] und in der Neuzeit die Ahmadiyya) wurden und werden teilweise bedrängt oder zumindest als Ketzer oder gar als Nichtmuslime (kuffâr 'Leugner', 'Ungläubige') betrachtet ein Phänomen, das seine Entsprechungen in der Geschichte der christlichen Kirchen hat.

Toleranz, Intoleranz und die Bereitschaft zum Dialog

Auch heute stehen im Islam tolerante Strömungen neben intoleranten man kann diese aber nicht vorschnell mit einzelnen historisch gewachsenen Schulen (etwa "Sûfîs", "Schiiten" oder "Wahhâbiten" usw.) gleichsetzen. Es ist eher so, dass in allen Richtungen weltoffene, tolerante wie auch engstirnige und unduldsame Einzelpersonen wie auch Strömungen anzutreffen sind. Das heißt auch, dass es bei allen Richtungen sowohl eine dialogfreundliche oder eine dialogfeindliche (= aggressiv-missionarische oder aber sich selbst verschließende) Haltung geben kann. Sunniten, für die der Koran und das Beispiel (sunna) des Propheten Muhammad der Maßstab ist, werden meist die oben genannten Koranverse beherzigen und eine grundsätzlich dialogfreundliche Haltung zeigen.

Christen und Muslime in Deutschland

Alle oben angesprochenen Haltungen, die meist eine jahrhundertelange Geschichte haben, kann man auch bei Muslimen finden, die heute in Deutschland leben. Aber einige Dinge haben sich verändert: Muslime finden sich als Minderheit in einer Gesellschaft wieder, die zwar christlich geprägt ist, in der aber Religion oft nicht mehr geschätzt, sondern vielmehr nicht selten lächerlich gemacht wird. Sie haben oft das Gefühl die meisten von ihnen sind ja Einwanderer und deren Nachkommen , dass man ihnen ihre Rechte nicht zugesteht. Wie schwierig ist es, eine Moschee zu bauen! Man legt einem solchen Vorhaben oft alle möglichen Hindernisse in den Weg mit lächerlichen Begründungen, wie die, ein Minarett passe nicht ins Stadtbild. Dabei besteht bei Muslimen ein großes Bedürfnis nach Moscheen (und wenn dies bei Christen im Bezug auf Kirchen ganz anders sein sollte, sind jedenfalls nicht Muslime dran schuld!). Moscheen sind für die Zugewanderten ja auch ein Stück Heimat. Als Muslim staunt man über die Dummheit von Menschen, die den Islam am liebsten in schmuddelige Hinterhöfe verbannen wollen und schulischen Islamunterricht ablehnen, sich dann aber wundern, wenn in den "Ghettos" Abkapselung gepredigt wird und man von der nichtmuslimischen Umwelt nichts wissen will. Muslime wünschen sich, dass sie als Menschen und auch als Muslime respektiert und geachtet werden und dazu gehört auch ein gewisses Entgegenkomen von seiten der Mehrheitsgesellschaft, der Gemeinden und der Politiker.

Dies ist nur ein Aspekt des Zusammenlebens von Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland. Da, wo gegenseitiger Respekt herrscht, gibt es auch sehr erfreuliche Phänomene: Tage der offenen Tür, gegenseitige Einladungen, manchmal sogar die Möglichkeit, am Gebet oder Gottesdienst der jeweils anderen teilzunehmen.

Vielfalt der Formen des Islams in Deutschland

Was in diesem Land noch besonders ist: Muslime aus sehr verschiedenen Kulturen treffen hier zusammen. Das Leben in der Türkei unterscheidet sich beispielsweise stark von dem in Pakistan oder in Marokko. Auch die religiösen Verrichtungen, die allen Muslimen gemeinsam sind, haben jeweils einen eigenen Touch: Die Koranrezitation eines türkischen Koranlesers klingt schon ganz anders als die eines Nordafrikaners, das Kopftuch und die Art und Weise, wie traditionelle Frauen es tragen, sieht bei Inderinnen und Pakistanis ganz anders aus als bei Frauen aus Ägypten oder der Türkei. Doch auch größere Unterschiede nimmt man wahr: In Deutschland kommen manche Muslime erstmals mit Angehörigen stark abweichender Gruppen zusammen, so dass ein verstärkter Dialog auch inerhalb des Islams nötig und wünschenswert ist.

Auf die Frage, was sich Muslime für den Dialog wünschen, möchte ich nicht selber antworten, sondern eine viel Berufenere zu Wort kommen lassen, nämlich die islamische Theologin und Imamin Halima Krausen in Hamburg, die folgende Wünsche für den christlich-islamischen Dialog äußert:

"Dass die jeweilige Mehrheit sensibler wird für die Minderheiten. Dass es Anlässe gibt, vor allem für Angehörige jüngerer Jahrgänge, etwas gemeinsam zu machen. Gerade die Erfahrungen des gemeinsamen Tuns sind die Auslöser für Aha-Erlebnisse. Dass mehr Wert auf Information aus erster Hand gelegt wird statt auf Expertenmeinungen über den anderen. Dass ein größeres Gewicht auf Dinge aus den jeweiligen Religionen kommt."[21].

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Verwendete und zitierte Literatur

Gotteslob, Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Freiburg 1975 [Ausgabe Freiburg]

Hadîthsammlungen siehe: Muslim; Kanz; Mischkât.

Heinz Halm: Die Schia. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988.

Heinz Halm: Der schiitische Islam. München: C. H. Beck, 1994.

[Ibn Is'hâq: Prophetenbiografie (Sîra)] Vollstädige Übersetzung von Gustav Weil: Das Leben Mohammeds nach Ibn Ishak. 2 Bände, Stuttgart 1864. — Auswahlübersetzung von Gernot Rotter Ibn Ishâq, Das Leben des Propheten. Tübingen, 1976 (mehrere Nachdrucke).

[Kanz al-‘ummâl] ‘Alî al-Muttaqî al-Hindî: Kanz al-‘ummâl fî sunan al-aqwâl wa-l-af‘âl. Hrsg. Bakrî al-Hayyânî / Safwat as-Saqqâ, 16 Bände, Bairût 1979.

Ismail Kaplan: Das Alevitentum. Eine Glaubens- und Lebensgemeinschaft in Deutschland. Köln: Alevitische Gemeinde Deutschland e.V., 2004.

Koran (Qur’ân) — Benutzte Ausgaben und Übersetzungen: Adel Theodor Khoury: Der Koran. Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar. 12 Bände. Gütersloh 1990-2001 (enthält den "offiziellen" Korantext [teilweise Defektivschreibung] der ägyptischen Ausgabe nach der Lesart Hafs). — Der Heilige Qur-ân. Arabisch und Deutsch. Hrsg. unter der Leitung von Hazrat Mirza Tahir Ahmad. Frankfurt a.M., 1985 (enthält den Korantext nach der Lesart Hafs [teilweise vermehrt Pleneschreibung, doch stellenweise auch ältere Textgestalt/vermehrte Defektivschreibung als der "ägyptische" Koran]). — al-Mus'haf al-Hasanî (Koranausgabe in der Lesart Warsch in maghribî-Schrift, auf Befehl von König Hasan II. in Marokko herausgegeben. — Wissenschaftliche Übersetzung durch einen bedeutenden Orientalisten: Rudi Paret: Der Koran. Übersetzung. 3. Auflage. Stuttgart 1983; dazu Rudi Paret: Der Koran. Kommentar und Konkordanz. 2. Auflage. Stuttgart 1981. — Siehe auch: Tafsîr al-Djalâlain.

Karl-Josef Kuschel: Vom Streit zum Wettstreit der Religionen. Lessing und die Herausforderung des Islam. Düsseldorf: Patmos, 1998.

Thomas Lemmen / Melanie Miehl: Miteinander leben. Christen und Muslime im Gespräch. Gütersloh 2001.

Karl May: Allah il Allah! Bamberg, 1990.

[Mischkât al-masâbîh von Waliyyaddîn al-Chatîb at-Tibrîzî] James Robson (Übersetzer): Mishkat Al-Masabih. English Translation with Explanatory Notes. 2 Bände. Lahore 1981. — Arabische Ausgabe: Mischkât al-masâbîh, Dihlî [Delhi] 1375 hidjrî / 1955.

[Muslim: Hadîthsammlung] Muslim ibn al-Hadjdjâdj: al-Djâmi‘ as-sahîh. 8 Teile, Nachdruck Bairût o.J. — Englische Übersetzung: ‘Abdul Hamîd Siddîqî: Sahîh Muslim. 4 Bände. Lahore 1980-82.

[Nasafî] "Das Glaubensbekenntnis des an-Nasafî (gest. 537 = 1142)." Übersetzt in: Joseph Schacht: Der Islam, mit Ausschluss des Qorâns, Tübingen 1931 (= Religionsgeschichtliches Lesebuch, 2. Auflage, Band 16), S. 81-87.

Dorothee Palm: Dialog der Herzen. Christlich-islamische Paare. Münster: LIT-Verlag, 2003.

Qurân siehe: Koran.

Rotter ‒ siehe: Ibn Ishâq.

Annemarie Schimmel: Der Islam. Eine Einführung. Stuttgart, 1990.

Siddîqî siehe: Muslim.

Tafsîr al-Djalâlain von Djalâladdîn al-Mahallî und Djalâddîn as-Suyûtî, zahlreiche Ausgaben.

Karin Vorhoff: "Die Aleviten. Eine Glaubensgemeinschaft in Anatolien." In: Wie der Phönix aus der Asche. Renaissance des Alevismus. Glaubenslehre, Organisationsformen, Musik, Moderne. Köln: Föderation der Aleviten Gemeinden in Europa e.V., 1998. S. 8-36.

W. Montgomery Watt, Alford T. Welch, Michael Marmura, Annemarie Schimmel (u.a.): Der Islam I-III [[Band I: Mohammed und die Frühzeit, islamisches Recht, religiöses Leben; II: Politische Entwicklungen und theologische Konzepte; III: Islamische Kultur, zeitgenössische Strömungen, Volksfrömmigkeit.] Stuttgart: Kohlhammer 1980-1990. (= Religionen der Menschheit Band 25.1-3)

Weil siehe: Ibn Ishâq.

Nevzat Yüksel: Konularına göre Kuran-ı Kerim fihristi. Trabzon, o.J.

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[1] Ich empfehle zur grundlegenden Lektüre über den Islam das im Reclam-Verlag erschienene Büchlein Der Islam. Eine Einführung von Annemarie Schimmel. Der Fortgeschrittene greife zu dem dreibändigen Werk Der Islam von W. M. Watt, A. T. Welch, M. Marmura, A. Schimmel (u.a.), erschienen als Band 25.1-3 der Reihe Religionen der Menschheit [Band I: Mohammed und die Frühzeit, islamisches Recht, religiöses Leben; II: Politische Entwicklungen und theologische Konzepte; III: Islamische Kultur, zeitgenössische Strömungen, Volksfrömmigkeit.]

[2] Siehe dazu Annemarie Schimmel: Der Islam. Eine Einführung, S. 7-11.

[3] Dies ist Unsinn. Es handelt sich um eine Verballhornung des zentralen islamischen Glaubenssatzes ilâha illâ-llâh ''Es ist keine Gottheit außer Gott'' oder ''Es gibt kein anzubetendes Wesen außer Allâh''. In Karl Mays Allah il Allah! (Bamberg 1990) wird ständig "Allah il Allah!" gerufen (z.B. S. 101, 127, 136, 254, 364, 387).

[4] Näheres hierzu bei Thomas Lemmen / Melanie Miehl: Miteinander leben. Christen und Muslime im Gespräch, S. 15-16.

[5] Sowohl die christlich-arabischen Bibeln wie auch die berühmte arabische Bibelübersetzung des jüdischen Gelehrten Sa‘adyâ Gâ'ôn (882 bis 942 n.Chr.) sagen, dass "Allâh" Himmel und Erde erschaffen hat (Erstes Buch Mose/Genesis 1:1). Genaugenommen formuliert Sa‘adyâ den ersten Vers der Bibel (gewöhnlich so verdeutscht: 'Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde') folgendermaßen: "Das erste, was Gott erschuf (awwal mâ chalaq Allâh), (waren) die Himmel und die Erde."

[6] Muhammad ist die richtige Namensform. Die Betonung liegt auf der zweiten Silbe: mu-HÁM-mad.

[7] Nevzat Yüksel: Konularına göre Kuran-ı Kerim fihristi ['Themenindex zum Koran'], 3. Auflage, Trabzon, o.J., S. 416.

[8] Karl-Josef Kuschel: Vom Streit zum Wettstreit der Religionen. Lessing und die Herausforderung des Islam. Düsseldorf: Patmos, 1998. Zum Koranvers 5:48 hier besonders S. 317-334.

[9] Im Gotteslob, Katholisches Gebet- und Gesangbuch (Ausgabe Freiburg) wird Maria als "Königin des Himmels", "Mutter Gottes/Gottesmutter", ja sogar als "Gottes Tochter, Mutter und Braut" sowie als "Mutter des Schöpfers" bezeichnet, die "dem Vater gleich" (!) thront und mit ihm das Reich hält (Nr. 891); sie ist gepriesen, man fleht sie an, ruft sie an, man gibt sich ihr ganz hin (z.B. Nr. 7, 783, 32, 769 [Lauretanischen Litanei] und öfter); auch die Bezeichnung "Gottesgebärerin" ist gebräuchlich. Auch wenn man es nicht so nennt de facto wurde die Mutter Jesu zu einer Göttin.

[10] Die Bezeichnung Sabier ‒ koranisch-arabisch: as-Sâbi’ûn oder as-Sâbûn (letzteres die Lesart Warsch und Qâlûn in 5:69) ‒ stammt wohl aus dem Aramäischen und bedeutet wahrscheinlich "Täufer". Damit sind wahrscheinlich die Mandäer im Irak gemeint, deren Ursprung (vor etwa 2000 Jahren) im palästinischen Judentum liegen soll. Später verstand man darunter meist die heidnischen (gestirnanbetenden) Sabier von Harran (heute Südtürkei); diese nahmen die koranische Bezeichnung as-Sâbi’ûn als Selbstbezeichnung an, um die Duldung im islamischen Reich zu genießen. Die in deutschen Koranübersetzungen oft zu findende Übersetzung "Sabäer" ist falsch! Sabäer sind nämlich die Bewohner des südarabischen Reiches Saba, das ebenfalls im Koran genannt wird (Saba’ in Sure 27:22; 34:15), das in der zitierten Stelle (2:62), wo es um Bekenntnisse geht, aber nicht vorkommt.

[11] Die Auffassung, dass Adam der erste Prophet (nabî, genauer: nabî’, nabiyy) gewesen sei, wird in einer Überlieferung in Mischkât al-masâbîh dem Propheten Muhammad selbst zugeschrieben. Andere Überlieferungen in Kanz al-‘ummâl (einer Sammlung von ca. 46.000 Überlieferungen) schreiben ihm die Meinung zu, Adam sei der erste "Gesandte" (rasûl) gewesen, aber Noah, wurde als erster "Prophet" (nabî) entsandt (Nr. 32.269; 32.391). Diese Überlieferungen stellen also offensichtlich Muhammad in den Mund gelegte Meinungen zu einer Frage dar, über die spätere Generationen uneins waren. Das Glaubensbekenntnis an-Nasafîs (starb 1142 n.Chr.) enthält den Satz: "Der erste Prophet ist Adam und der letzte Muhammad" (Nasafî, S. 85).

[12] Ibn Is'hâq [sprich: iss-Haak], der bekannte Verfasser der Prophetenbiografie (Sîra), hat ganz zu Anfang des Werks einen Stammbaum, der von Muhammad bis zu Adam zurückreicht. Dort heißt es: "(...) des Sohnes des Henoch (Achnûch) ‒ man sagt, dies sei der Prophet Idrîs; er war der erste der Adamssöhne, dem das Prophetentum und das Schreiben mit dem Schreibrohr zuteil wurde"; vgl. die vollständige Übersetzung von Gustav Weil: Das Leben Mohammeds nach Ibn Ishak, Band 1, S. 1, und die Auswahlübersetzung: Ibn Ishâq: Das Leben des Propheten (Übers. von Gernot Rotter), S. 23.

[13] So der verbreitete Korankommentar Tafsîr al-Djalâlain zu 42:13.

[14] Sahîh Muslim, Band 8, S. 49; ‘Abdul Hamîd Siddîqî: Sahîh Muslim (Lahore 1980-82), Hadîth-Nr. 6409. In der hier erzählten Geschichte beschuldigt Mose den Adam, durch seine Sünde das irdische Leid der Menschen verursacht zu haben ohne den Sündenfall würden ja alle im Paradies leben. Adam verweist Mose auf dessen Thora, die Gott selbst mit eigener Hand schon vierzig Jahre vor Adams Erschaffung geschrieben hat. In der Thora aber ist Adams Sündenfall doch geschildert! Wie, so argumentiert Adam gegenüber Mose, kann er an etwas Schuld haben, das Gott schon über ihn niedergeschrieben hat, als er noch nicht einmal erschaffen war? Diese Geschichte wird dem Propheten Muhammad in den Mund gelegt. Kürzere Varianten finden sich auch im Sahîh al-Buchârî und etwas früher in al-Muwatta’ von Mâlik.

[15] Ibn Ishak* (Übers. Weil), Band I, S. 15-167. Ibn Ishâq* (Übersetzung Rotter), S. 63-68. ‒ * = Ibn Is'hâq [sprich: iss-Haak].

[16] Ibn Ishak (Übers. Weil), Band I, S. 297-306. (In den Kapiteln, die dieser Episode vorausgehen, sind zahlreiche Berichte über Diskussionen zwischen Muhammad und den Juden von Medina wiedergegeben.)

[17] Im Zweistromland entstand zwischen 200 n.Chr. und etwa 600 n.Chr. der Babylonische Talmud, ein sehr umfangreiches jüdisches Sammelwerk von Kommentaren und Diskussionen zur Mischnâ, der Kodifizierung der "mündlichen Thora" aus dem 3. Jhdt. n.Chr.

[18] Zu Zarathustra und dem Zoroastrismus siehe den Beitrag "Als Mazdayasnier und Zarathustrier..." Gutes Denken, Gutes Reden, Gutes Tun. [noch nicht fertiggestellt]

[19] Daher die arabische Bibelübersetzung des Sa‘adyâ, auf die schon hingewiesen wurde. Einige Jahrhunderte zuvor hatten die meisten Juden Aramäisch, Griechisch oder Latein gesprochen; nun waren die meisten Juden Araber und brauchten eine arabische Bibel.

[20] Die Aleviten (Alevis; türkisch: Aleviler) sind eine muslimische Glaubensgemeinschaft, die sich in ihren Glaubensvorstellungen und religiösen Praktiken stark von den "orthodoxen" Muslimen (Sunniten und Schiiten) unterscheidet, etwa dadurch dass sie nicht im Ramadan fasten und der Koran bei ihnen keine tragende Rolle spielt. Sie verehren ganz besonders Ali (‘Alî ibn Abî Tâlib), den Cousin und Schwiegersohn Muhammads, und seine Nachfolger die zwölf Imame und erweisen sich damit als eine der Zwölfer-Schia (Schiiten) entstammende Gruppierung; ihr Name bedeutet wörtlich "Ali-Anhänger". Sie sind in Deutschland inzwischen gut organisiert. Sehr informativ ist die Selbstdarstellung: Das Alevitentum. Eine Glaubens- und Lebensgemeinschaft in Deutschland, von Ismail Kaplan. Ich empfehle außerdem: Karin Vorhoff: Die Aleviten. Eine Glaubensgemeinschaft in Anatolien. Eine ganz andere Sondergemeinschaft sind die in Syrien und teilweise auch in der Türkei vertretenen Alawiten (‘Alawiyyûn) (auch Nusairî genannt), die sich ebenfalls nach Ali benennen und zu den Schiiten zählen. (In der Türkei kann sich Alevi auf beide Gemeinschafzen beziehen.) ‒ Zur Schia (Schiiten) allgemein empfehle ich die Werke von Heinz Halm (s.o.: Halm, Die Schia und Der schiitische Islam).

[21] Zitiert nach Thomas Lemmen / Melanie Miehl: Miteinander leben. Christen und Muslime im Gespräch, S. 132.




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